Als der „Deutsch-Schwedische Fachtag zur Vorschulbildung“ im festlichen Ratsplenarsaal des Neuen Rathauses Leipzig am 13. März 2020 zu Ende ging, wurde vielen Beteiligten erst so richtig klar: Das war ein großartiges Projekt!
Im Fokus des Fachtags standen Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der deutschen und schwedischen Herangehensweise an die Erziehung von Kindern im Vorschulalter sowie die Ausbildung von Erzieher*innen. Es wurden Ergebnisse einer Partnerschaft vorgestellt, die im Jahr 2019 mit zwei Bildungsreisen nach Schweden ihre Höhepunkte verzeichnete.
Schon seit 2016 bestand regelmäßiger Kontakt, der in einem ersten Besuch in Leipzig inhaltlich untersetzt und beim Besuch mit dem Hauptgeschäftsführer der BBW-Leipzig-Gruppe in Stockholm intensiviert wurde. Dank der Vermittlung der schwedischen Honorarkonsulin für Sachsen und Sachsen-Anhalt konnte Kontakt zur Oberregierungsrätin a.D. des schwedischen Bildungsministeriums aus Stockholm hergestellt werden.
Erasmus+ öffnet Türen
Das Erasmus+ Programm „Kids für Europa“ machte es dann möglich: Jeweils sechs Fachkräfte der BBW-Kindertagesstätten reisten vom 04. bis 13.02.2019 und vom 22. bis 27.09.19 nach Schweden. Die Fachkräfte konnten so in den schwedischen Kooperations-Kindertageseinrichtungen hospitieren und sich austauschen.
Frühkindliche Bildung im Fokus
Die Reisenden fanden viele Ähnlichkeiten zu den Anforderungen an die Praxis: Auch schwedische Fachkräfte in der „Förskola“ haben die Aufgaben als Lernbegleitung und zur Schaffung einer lernanregenden Umgebung sowie Dokumentation. Sie schaffen Gelegenheiten für Erfahrungsvielfalt und Austauschvielfalt, Bildung zu Nachhaltigkeit, Entwicklung von Selbstwirksamkeit, Individualität und Wertschätzung.
Ganz anders gestaltet sich aber die Bildungsarbeit unter dem Aspekt der Ziel- und Resultatsteuerung: Grundanliegen ist es, gleichzeitig mit den anderen Kindertagesstätten für die Kinder ein bestimmtes vorschulisches Bildungsziel zu erreichen, ohne deren Entwicklungsstand und ihre individuellen Möglichkeiten aus dem Blick zu lassen. Dementsprechend sind die Häuser viel kleiner als in Sachsen und die Personalausstattung wie auch die Ressourcen sind sowohl quantitativ als auch qualitativ anders.
Lebensnahes Lernen
Was in der praktischen Arbeit am deutlichsten wurde? Zum einen ist der Umgang mit Technik und Medien in Schweden schon viel selbstverständlicher. Die Ausstattung ist besser, die Fachkräfte regelmäßig geschult im Umgang mit Medien. Außerdem scheint weniger Vorsicht zu herrschen oder anders ausgedrückt: Lernen wird lebensnaher gestaltet. Eine Küche ist in den Raum integriert, die Kinder werden dazu eingeladen, im Außengelände die Umwelt so zu erleben wie sie ist – bei jedem Wetter. Besonders der alltägliche und selbstverständliche Einbezug von (einrichtungseigenen) Therapeut*innen, Psycholog*innen und Sonderpädagog*innen begeisterte die Fachkräfte aus Deutschland. Kinder und Fachkräfte unterschiedlicher Herkunftskulturen leben und arbeiten selbstverständlich neben- und vor allem miteinander.
Aber es gibt einen interessanten Unterschied: Zwar werden in den „Förskolor“ die unterschiedlichsten Herkunftskulturen und -sprachen in den pädagogischen Alltag integriert, jedoch gibt es keine bilingualen Einrichtungen wie die BBW-Kitas „Sonnenwinkel“ oder „forum thomanum“, in denen es neben dem Deutschen mindestens eine weitere Alltagssprache gibt. (Englisch lernen die schwedischen Kinder erst ab der Grundschule).
Und einen weiteren Unterschied konnten wir feststellen: Während bei uns Musik in jeglicher Form zum Kindergartenalltag gehört und u.a. als wichtiges pädagogisches Mittel eingesetzt wird, musizieren die schwedischen Kinder hauptsächlich in Musikschulen – besonders mit Instrumenten oder in Chorform.
Kontakte für die Zukunft
Nun wurden den Fachkräften Urkunden vom Schwedischen Konsulat übergeben – verbunden mit großem Dank insbesondere für die Gestaltung des „Deutsch-Schwedischen Fachtags“. Der Kontakt wird sicher bestehen bleiben!
Und jetzt?
Drei Fragen an Dr. Susan Arnold, Bereichsleiterin Kindertagesstätten und Projektkoordinatorin auf deutscher Seite
Was hat Sie am meisten beeindruckt im Austausch mit Schweden?
„Beeindruckt haben mich in erster Linie die Freundlichkeit und hohe Motivation der schwedischen Kolleg*innen, zu uns zu kommen, uns ihre Welt zu zeigen und mit uns über eine so lange Zeit fachlich im Austausch zu sein. Das ist nicht selbstverständlich.
Angenehm war die Nähe in der pädagogischen Einstellung: Kinder sind ernst zu nehmen. Fachkräfte sind deshalb besonders wichtige Menschen. Die hohe Bedeutung der frühen Bildung bestand ohne Zweifel für beide Seiten. Aber es gab auch die Erkenntnis, dass das in ganz unterschiedlicher Weise und Ernsthaftigkeit in den Ländern umgesetzt wird. Hier bei uns gibt es oft eine schöne Sprache über das, was man tun könnte.“
Was würden Sie gerne sofort von den schwedischen Kolleg*innen oder aus den schwedischen Einrichtungen bei uns übernehmen?
„Ganz besonders positiv fanden wir den hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit der Fachkräfte, der auf einer hervorragenden Ausbildung beruht, ergänzt durch eine gesellschaftliche Grundeinstellung dem Arbeitsfeld gegenüber. In der praktischen Arbeit vorbildlich ist eine natürliche Bewegungs- und Gesundheitsförderung, wie auch insgesamt Natürlichkeit – in der kindlichen Umgebung und auch im Umgang miteinander.“
Was wurde vielleicht schon übernommen in den BBW-Kitas?
„Es ist nicht immer einfach, Ideen zu übertragen. Ein Beispiel: Wir haben uns gewünscht, dass auch bei uns alle beim Betreten der Kitas die Schuhe ausziehen, denn das war in Schweden selbstverständlich. Im Haus in Strümpfen zu gehen findet man normal. Es ist eklig, in Straßenschuhen das Haus der Kinder zu betreten. Bei uns fehlt schon der Platz für Schuhe am Eingang, außerdem fällt man hier offenbar schneller hin als dort, wenn man keine Schuhe trägt. Aber wir haben wenigstens die Schuhüberzieher in einer wiederverwendbaren Variante gemeinsam mit dem Fachbereich Bekleidung des Berufsbildungswerkes Leipzig hergestellt. Das ist für uns ein Erfolg.
Globale Ziele zur Nachhaltigkeit sind in Schweden in allen Kitas zu finden. In jeder der BBW-Kindertagesstätten sind Projekte dazu entstanden, z.B. Plastikfasten, das verstärkte Upcycling oder Baumspendeaktionen.
Zunehmend schaffen wir mobile digitale Technik für die Kinder an, die diese dank immer besserem WLAN und kindgerechten Varianten selbsttätig nutzen können. Auch die Fachkräfte arbeiten zunehmend mit mobilen digitalen Geräten und Verwaltungsprogrammen. Die positiven Erfahrungen in Schweden haben uns dabei Mut gemacht.
Besonders freut uns auch, dass wir in den Neubau der Kita ‚Bremer Straße‘ die Idee eines Außenateliers integrieren konnten: Kinder können nun, wie in Schweden, auch draußen kreativ sein und bei Wind und Wetter zeichnen, basteln, werkeln.“
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